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Sonderteil zur EXPONATEC                                                                                                Sonderteil zur EXPONATEC
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        Eine  umfassende  Restaurierung  und  die  vorhergehende   die wohl ohne KUNST AUF LAGER nicht so schnell angegangen                                                          um 1400 entstandenen Fassade der Brandenburger Katharinen-
        Untersuchung  des  Innenaufbaus  der  Säule  waren  bisher   worden  wäre.  Die  starken  Verschmutzungen  und  Schadstoffe                                                   kirche, die sich nach Zerstörungen und Abnahmen der letzten
        wegen  fehlender  technischer  Möglichkeiten  nicht  möglich.   zwangen die Restauratoren zu Vollschutzkleidung. Sie konnten                                                  Jahrhunderte noch erhalten haben und gehören jetzt natürlich
        Eine  CT-Untersuchung  in  einer  Anlage,  die  sonst  Rotorflügel   nur im belgischen Mechelen durch ein Aerosolverfahren entfernt                                           in die Schausammlung.  11
        von Windkraftanlagen oder ganze Lastwagen samt Containern   werden,  wo  die  entsprechend  großen  Reinigungsanlagen  zur
        „durchleuchtet“,  legte  nun  die  Grundlage  für  eine   Verfügung stehen. Die übrigen Arbeiten, die Sicherung fragiler
        Restaurierung.   Über  das  ambitionierte  Restaurierungsprojekt   Bereiche,  die  Fixierung  von  Fäden  und  die  Vorbereitung  für
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        berichtete  die  Presse  breit.  Bei  der  CT-Untersuchung  der   eine konservatorisch korrekte Hängung, konnten dann wieder
        Säule  kam  auch  ein  Linearbeschleuniger  der  Firma  Siemens   im  Bayerischen  Nationalmuseum  in  München  erfolgen.  Der
        zum  Einsatz.  Restaurierungen  bieten  immer  die  Möglichkeit,   Bildteppich  „Paulus  predigt  vor  den  Frauen  von  Philippi“
        über  die  verwendeten  innovativen  Technologien  auch  nicht   ist  einer  von  neun  Tapisserien  der  Paulus-Folge,  die  Pieter
        kulturaffines  Publikum  oder  Sponsoren  anzusprechen.  (Abb.    Coecke  van  Aelst,  einer  der  wichtigsten  Künstler  der
        auf der vorgehenden Seite)                             flämischen Renaissance, entworfen hat. Die kostbaren Stücke
                                                               wurden  vor  1563  in  Brüssel  gefertigt,  dem  bedeutendsten
        Gewaltige  und  diffizile  Restaurierungsaufgaben  wie  der   Herstellungszentrum europäischer Tapisserien. Herzog Albrecht
        Grabower Altar Meister Bertrams in der Hamburger Kunsthalle,   V. von Bayern erwarb sie 1565/71 und ließ sie nur zu besonderen
        die  Goldene  Tafel  im  Landesmuseum  Hannover  oder  der   Gelegenheiten aufhängen. Während die übrigen Teile der Folge
        Gothaer Tafelaltar   sind zu groß für einzelne Restauratoren,   zeitweise  ausgestellt  sind,  war  die  „Paulus-Predigt“    zuletzt
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        aber  auch  für  einen  einzelnen  Förderer.  Die  HERMANN   vor mehreren Jahrzehnten öffentlich sichtbar und verschwand   Presseschau nach der Präsentation der Tapisserie im Bayerischen
        REEMTSMA  STIFTUNG,  die  Kulturstiftung  der  Länder,  die   dann in den Depots des Museums. In Saal 22 soll die Tapisserie   Nationalmuseum
        VolkswagenStiftung,  die  Rudolf-August  Oetker-Stiftung,  die   mit  ihren  leuchtenden  Farben  und  dramatischen  Szenen
        niedersächsische  VGH-Stiftung  und  die  Ernst  von  Siemens   zukünftig zusammen mit anderen Kunstwerken an die prächtige
        Kunststiftung  haben  hier  mit  lokalen  Förderern,  den  Museen   Hofhaltung Herzog Albrechts V. erinnern.   Die kunsthistorische   gentlichen Restaurierungsarbeit noch umfangreiche Forschung
                                                                                                7
        und  der  interessierten  Öffentlichkeit  zusammengewirkt,  um   Bedeutung,  aber  auch  die  eindrucksvolle  Präsentation  der   notwendig ist. „Für die Benutzung gesperrt!“ stand seit über 25
        die  Großprojekte  zu  bewältigen.  Solche  gewaltigen  Werke   Tapisserie auf dem Fußboden der Restaurierungswerkstatt hat   Jahren auf dem Aufbewahrungsschuber des kostbar illuminier-
        und Restaurierungsaufgaben erlaubten es, fast alle Mitglieder   zu einem guten Medienecho geführt, in dem auch die Ziele von   ten spätmittelalterlichen Stundenbuchs der Maria von Geldern.
        von  KUNST AUF  LAGER  gemeinsam  anzusprechen  und  zudem   KUNST AUF LAGER und der dringende Mittel- und Personalbedarf   8   Eine  Fundraisingkampagne  in  Gelderland  in  den  Niederlan-
        erfolgreiche Fundrisingkampagnen aufzulegen.           für Museumsdepots kommuniziert wurde.                           den,   ein mehrjähriges Forschungsprojekt in der bewahrenden
                                                                                                                                    9
                                                                                                                               Staatsbibliothek zu Berlin, mehrere Filme und Artikel sind ne-
        Die  Restaurierung  eines  etwa  4,5  x  7  m  großen  Bildteppichs   Nicht nur große, sondern auch komplizierte Restaurierungsfälle   ben der materiellen Wiedergewinnung und der neugewonnenen
        der Renaissance ist ebenfalls eine logistische Herausforderung,   werden aufgeschoben, besonders jene, bei denen vor der ei-  Benutzbarkeit  eines  wichtigen  Kulturguts  aus  dem  Jahr  1415
                                                                                                                               der Ertrag des Projekts.

                                                                                                                               „Schmuddelecken“ der Depots
                                                                                                                               Schließlich  kommt  KUNST  AUF  LAGER  oft  auch  in  letzter
                                                                                                                               Minute,  wenn  Kunst-  und  Kulturgut  eigentlich  nach  langer
                                                                                                                               Vernachlässigung  fast  schon  aufgegeben  wurde.  Bei  den  Pla-
                                                                                                                               nungen  für  unsere  Initiative  KUNST  AUF  LAGER  stand  der
                                                                                                                               diskrete  Austausch  mit  Restauratoren  ganz  am  Anfang.  Eine   Rudolf Maison: Eselreiter, 1892. Gipsmodell, Historisches Mu-
                                                                                                                               der  Schwierigkeiten  bestand  oftmals  darin,  überhaupt  einen   seum, Regensburg. Foto: Museen der Stadt Regensburg/Michael
                                                                                                                               offiziellen Blick in die „Schmuddelecken der Museumsdepots“   Preischl
                                                                                                                               zu bekommen. Eines der im Vorfeld vorgestellten Sorgenkinder
                                                                                                                               war  der  Nachlaß  des  Bildhauers  Rudolf  Maison  im  Depot
                                                                                                                               des  Historischen  Museums  Regensburg.  Eine  Förderung  der
                                                                                                                               Kulturstiftung der Länder erlaubte dann nach Start von KUNST
                                                                                                                               AUF  LAGER  die  Konservierung  und  Restaurierung  zahlreicher
                                                                                                                               aufwendig gefaßter Gipsarbeiten. Die Beschäftigung mit dem
                                                                                                                               wiederentdeckten  und  wiedergewonnenen  Bestand  führ-
                                                                                                                               te  schließlich  zu  einer  beachteten  Ausstellung  zu  Maison
                                                                                                                               ‒  der  ersten  zu  diesem  technisch  brillanten  Künstler  der
                                                                                                                               Wilhelminischen Zeit.    (Abb. rechts)
                                                                                                                                                 10
                                                                                                                               Ein letztes Beispiel: Die ersten, dem Restaurierungsantrag bei-
                                                                                                                               liegenden  Fotos  zeigten  zwei  Terrakottaskulpturen,  eine  hl.
                                                                                                                               Katharina und Amalberga, im Depot der Museen der Stadt Bran-
                                                                                                                               denburg, in Blasenfolie gehüllt, mit einer stark verschmutzten
                                                                                                                               Oberfläche  und  zahlreichen  Rissen,  abgelösten  Schollen  und
                                                                                                                               Absandungen. Die nun durchgeführte Konservierung war buch-
                                                                                                                               stäblich die letzte Chance für die beiden Figuren. Denn nach
                                                                                                                               ihrer Präsentation anläßlich der Ausstellung „Brandenburg und
                                                                                                                               Böhmen. Kunst und Macht um 1400“ im Haus der Brandenbur-  Rudolf Maison in seinem Atelier in der Tizianstraße
                                                                                                                               gisch-Preußischen Geschichte in Potsdam müssen sie nicht mehr   in München-Gern. Aufnahme um 1900 des Münchner Hoffotogra-
        Begutachtung im Depot: Tapisserie „Paulus predigt vor den Frauen“. Nach Pieter Coecke van Aelst, Brüssel, um 1535/40. Bayerisches Natio-  zurück in die Blasenfolie, wo sie ihrem langsamen Zerfall ent-  fen Carl Teufel (1845-1912). Links hinten der bockende Esel.
        nalmuseum München, Königliche Sammlungen des Hauses Wittelsbach. Foto: Bastian Krack                                   gegendämmerten. Die Figuren sind die einzigen Skulpturen der   Quelle: Wikimedia Commons

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                                           MUSEUM  AKTUELL 243 | 2017                                                                                             MUSEUM  AKTUELL 243 | 2017
                                        EXPOTIME!, issue October / November 2017
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